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Der strategische Nägeli

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Vom Pionier Nägeli war bereits mehrfach die Rede, etwa bei seinen verlegerischen Tätigkeiten oder was die Musikpädagogik betrifft. Dass er auch ein gewiefter Stratege war, das machte Prof. Dr. Antonio Baldassarre von der Hochschule Luzern bei der vierten Veranstaltung von «Revisiting Hans Georg Nägeli» am 2. Juni 2023 gleich zu Beginn klar.

Das Singinstitut, das Nägeli 1805 in Zürich errichtete, sollte das Chorwesen in erster Linie institutionell festigen. In dieser Chorschule betrieb Nägeli erst einen gemischten Chor, später kamen ein Kinderchor und ein Harfe spielender Töchterchor hinzu, bevor er 1810 den weltweit ersten Männergesangverein etablierte. Das Zürcherische Singinstitut, wie Nägeli seine Einrichtung nannte, griff nicht nur die inhaltliche Idee des Volksgesangs auf, sondern schuf auch den institutionellen Rahmen für eine «singenden Gesellschaft» als Keimzelle einer neuen zivilgesellschaftlichen Ordnung. Das Singinstitut hatte vor allem politisch zu wirken.

Denn: So etwas wie die «Schweiz» – wie wir sie heute kennen – gab es zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht. Vielmehr schlug man sich die Köpfe ein, die Städte kämpften gegen die Landschaften und die Protestanten gegen die Katholiken. Bis zur ersten Bundesverfassung 1848 war es ein ebenso weiter wie blutiger Weg.

Zu den Vereinen, die sich zu dieser Zeit als frühe zivilgesellschaftliche Bündnisse bildeten, gehörten neben den Turn- und Schützenvereinen auch die Gesangsvereine. Institutionell waren das ausschliesslich Männerchöre (bei denen die Frauen aber auch mittun durften). Die Feste, die diese Vereine ausrichteten, waren nicht nur Massenveranstaltungen für Tausende, sondern auch friedensfördernde Anlässe mit temporären Landbesetzungen, Triumphbögen und Fahnenburgen.

Eine Ahnung dieser Volksbewegung des «musikalischen nation-building» vermittelten der Frauenchor Hombrechtikon und der Sängerbund Wetzikon, die es beide seit 150 Jahren gibt und zu deren Repertoire bis heute Nägeli-Lieder gehören. Von den Herausforderungen, die mit der Weiterführung dieser Tradition einhergehen, berichteten der Dirigent Grégoire May vom Sängerbund Wetzikon und besonders eindrucksvoll die Präsidentin Rosita Hunziker vom Frauenchor Hombrechtikon: Ganz im Sinne Nägelis sind die «Dilettanten» (Amateure) die wahren Träger der Musik.

Tradition – das ist bekanntlich ja die Weitergabe der Flamme, nicht die Anbetung der Asche!

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